Tibet-Encyclopaedia

 

Abbildung 1: Grob umrissene Lage der Herrschaftsgebiete von Palola (=Groß-Palola, rot eingezeichnet) und Klein-Palola (=Bru-zha, blau eingezeichnet) im Norden Pakistans. Quelle für die Karte: Hauptmann, S. 12

 Palola (Bolor)

Palola (Paṭola, Bolor, Balūr, Palūr, Po-lu-lo, Pou-lu, P’o-lü, Po-lü) ist ein altes Königreich, das in der Zeit vom Ende des 6. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. im Norden des heutigen Pakistan existierte und im Kern zumindest die Gebiete um Gilgit, Chilas und Punial (siehe die Karte von Abbildung 1) umfasste. Ob Baltistan insbesondere mit Rondu, Skardu und Shigar zeitweise zu diesem Königreich gehörte, ist ungeklärt. Für den Zeitraum seit dem Beginn des 8. Jahrhunderts wissen wir aus chinesischen Quellen, dass unter der Bezeichnung Palola zwei Gebiete bekannt waren, nämlich Groß-Palola und Klein-Palola. Groß-Palola erstreckte sich vom Gebiet um die heutige Stadt Gilgit entlang des Gilgit-Flusses durch Punial bis in die Region um Gakuch und umfasste auch das südlich von Gilgit gelegene Chilas, während Klein-Palola mit Yasin gleichzusetzen ist. Groß-Palola wurde spätestens seit den 20er Jahren des 8. Jahrhunderts von Tibet dominiert, während das von den Tibetern als Bru-zha bezeichnete Klein-Palola zwischen China und Tibet heftig umkämpft war. Kulturell wurde Palola vom Buddhismus geprägt. Das Land beherbergte eine große Zahl von buddhistischen Klöstern. Als Schriftsprache wurde Sanskrit verwendet. Zahlreiche buddhistische Felsbilder und Bronzestatuen zeugen von einem sehr hohen Kulturniveau. Die detaillierte Erforschung von Palola verdanken wir hauptsächlich den Untersuchungen des deutschen Indologen Oskar von Hinüber.

Abbildung 2: Buddhistisches Felsbild aus dem Herrschaftsbereich von Palola. Chilas Oktober 2008

   

 

 

 

Abbildung 3: Buddhistische Bronze aus Palola aus dem Jahre 706/707 n. Chr. mit einer Aufschrift, die den Palola-Herrscher Jayamaṅgalavikramādityanandi  nennt. Quelle: von Hinüber, Abbildung 4 

 

Abbildung 4: Buddhistische Bronze aus Palola, gestiftet von dem Palola-Herrscher Nandivikramādityanandi im Jahre 715/716 n. Chr. Quelle: Pal (1), S. 109, dort seitenverkehrt wiedergegeben

Inhaltsverzeichnis

1. Chinesischsprachige Berichte buddhistischer Pilger
2. Chinesische Annalen
3. Die Alten tibetischen Annalen und das Land Bru-zha
4. Felsinschriften mit den Namen der Herrscher von Palola
5. Gilgit-Handschriften und buddhistische Bronzen aus Palola
6. Die Herrscher von Palola
7. Groß-Palola und Klein-Palola (Bru-zha)
8. Literatur

1. Chinesischsprachige Berichte buddhistischer Pilger

Das früher als Balūr (Bolor, Palūr) bezeichnete Land Palola wurde in der wissenschaftlichen Literatur schon im 19. und 20. Jahrhundert vielfältig behandelt. Die ersten Quellen hierfür waren Berichte chinesischer und koreanischer buddhistischer Pilger, die zwischen dem 5. und 9. Jahrhundert von Zentralasien aus über die Gebirgszüge des Wakhan, des Pamir und des Hindukush in die Gebiete des westlichen Indiens wanderten, um u. a. dort den Buddhismus zu studieren oder die heiligen Stätten des Buddhismus aufzusuchen. Sie konnten dabei auf ihren Wanderungen von Norden nach Süden westlich oder östlich (?) von Baltistan gelegene, stark buddhistisch geprägte Gebietskorridore durchreisen und verfassten teilweise Reiseberichte über ihren Reiseweg.

Der älteste dieser Berichte stammte von Fa-hsien (Faxian), der seine Indienreise zwischen 399 und 414 unternahm, die ihn zunächst über Zentralasien in Gebiete des heutigen Pakistan führte. Nach der 1886 von James Legge veröffentlichten Übersetzung dieses Reiseberichts erreichte Fa-hsien Khotan, wo er sich drei Monate aufhielt, während drei seiner Begleiter zu einem als K‘eeh-ch‘â aufgeführten Ort vorausreisten. Zu diesem Ort bemerkt Legge (Fa-Hsien, S. 18): „K‘eeh-ch‘â has not been clearly identified. Résumat made it Cashmere; Klaproth, Iskardu;  Beal makes it Kartchou; and Eitel, Khas’a, ‘an ancient tribe on the Paropamisus, the Kasioi of Ptolemy.’ I think it was Ladak, or some wellknown place in it.“ Das Kapitel IV dieser Reisebeschreibung versieht Legge (Fa-Hsien, S. 21) mit der Überschrift „Through the Ts’ung or ‘Onion’ Mountains to K‘eeh-ch’â; - probably Skardo, or some city more to the east in Ladakh.” Cunningham (S. 47) veröffentlichte schon 1854 zum Reiseweg von Fa-hsien folgendes: „The Kárákoram Pass was transversed by the Chinese Fa-Hian, in A. D. 399.“ Dies würde bedeuten, dass Fa-hsien über Ladakh nach Indien gereist ist. Petech (S. 7) allerdings bemerkt zur Reise von Fa-hsien: „ Fa-hsien did not pass through Ladakh, nor even in its vicinity.“ Angesichts der riesigen Ausdehnung der hier in Frage kommenden Gebiete zeigen die oben zitierten Vorschläge zur Identifikation dieses Ortes nur eines, nämlich dass solche geographischen Festlegungen einfach sinnlos sind. Insofern macht es auch keinen Sinn, hier etwa über eine frühe Erwähnung von Skardu durch Fa-hsien auch nur zu diskutieren.

Palola wurde wohl erstmalig in einer Beschreibung der Reise des chinesischen Mönches Hsüan-tsang (Xuanzang) erwähnt, der in der 1. Hälfte des 7. Jahrhunderts wiederum über Zentralasien durch das Gebiet des heutigen Pakistans nach Indien reiste. Diese Reise wurde von Hsüan-tsang 627 begonnen und endete mit seiner Rückkehr im Frühjahr des Jahres 645. Folgen wir der Darstellung dieser Reise durch Alexander Leonhard Mayer (S. 97f), so wanderte Hsüan-tsang weit östlich von Baltistan durch Gebiete des heutigen Afghanistan über den Khaiber-Pass bis nach Peschawar. Von dort wandte er sich zunächst nach Norden, um Uḍḍiyāna zu besuchen. Mayer bemerkt in diesem Zusammenhang (S. 98): „Ob Xuanzang bei dieser Gelegenheit noch weiter nach Norden nach Darel (alte Hauptstadt von Uḍḍiyāna), Swat und Bolor (Baltistan) gegangen ist, bleibt unklar.“ Auf seiner Rückreise nach China durchreiste er „Bolor (Baltistan und Yasin, hier nur erwähnt)“ um danach über den Pamir Kashgar und Khotan zu erreichen (Mayer, S. 110f). In der von Hsüan-tsang 646 verfassten Beschreibung der Westlichen Welt (大唐西域記) findet sich auch ein Kapitel über ein Land, welches in Samuel Beals Übersetzung (S. 135) mit der Bezeichnung  „Po-lu-lo (Bolor)“ wiedergegeben wird. Weitere Schreibungen für dieses Land sind Pou-lu und P’o-lü. Alexander Cunningham ((1), S. 84) identifizierte dieses Land mit Baltistan bzw. Klein-Tibet, wobei er folgendes formulierte: „Po-lu-lo must be the modern Balti, or Little Tibet, which is undoubtedly correct.“ Liegt uns nun mit Hsüan-tsangs Beschreibung von Po-lu-lo eine sehr frühe, aus der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts stammende Darstellung der Verhältnisse in Baltistan vor? Auch wenn zahlreiche Wissenschaftler nach Cunningham der Gleichsetzung insbesondere von Groß-Palola (Groß-Bolor) und Baltistan gefolgt sind, muss im Vorgriff auf die nachfolgenden Erläuterungen diese Frage hier leider verneint werden.

   

Abbildung 5: Bild eines chinesischen Pilgers, möglicherweise handelt es sich hier um Hsün-tsang. Quelle: Wikimedia Commons Xuan Zang.jpg

 

Abbildung 6: Ein Teil der Reiseroute von Hsün-tsang nach Cunningham, The Ancient Geography of India

Hsün-tsang lieferte folgende Beschreibung von Palola, die für die Bewohner dieses Landes und die in ihm lebenden Mönche wenig schmeichelhaft ist (Beal, S. 135):

“The country of Po-lu-lo is about  4000 li in circuit ; stands in the midst of the great Snowy Mountains. It is long from east to west, narrow from north to south. It produces wheat and pulse, gold and silver. Thanks to the quantity of gold, the country is rich in supplies. The climate is continually cold. The people are rough and rude in character ; there is little humanity or justice with them ; and as for politeness, such a thing has not been heard of. They are coarse and despicable in appearance, and wear clothes made of wool. Their letters are nearly like those of India, their language somewhat different. There are about a hundred saṅghârâmas in the country, with something like a thousand priests, who show no great zeal for learning, and are careless in their moral conduct.”

Es lohnt sich an dieser Stelle, den Pilgerbericht des koreanischen Mönches Hui-chao (Hyecho), über das hier in Frage kommende Gebiet im Detail vorzustellen. Zu Hui-chao ist anzumerken, dass er 727 seine Rückreise von Indien nach Zentralasien unternahm und über Groß-Palola berichtete, dass es unter tibetischer Oberherrschaft stand und im Unterschied zu Tibet buddhistische Klöster und Mönche beherbergte. Nach Hui-chao lagen Groß-Polala und die leider völlig unbekannten Königreiche Yang-t’ung (?) und Sha-po-tz’u (?) in nordöstlicher Richtung von Kaschmir und war von Kaschmir 15 Tagesreisen entfernt. Diese Entfernungsangabe trifft auf Ladakh, Baltistan und das Gebiet von Chilas und Gilgit gleichermaßen zu. Nach Hui-chao gab es in Groß-Palola Klöster und Mönche und die Einwohner waren Anhänger des Buddhismus. Die Gebiete des Landes waren eng und klein und Berge sowie Täler zerfurcht (Yang, S. 47f). Hui-chaos Reise fiel in eine Epoche, in der das Gebiet von Palola zwischen Tibet und China heftig umkämpft wurde. Er berichtet, dass die Tibeter in Groß-Palola eingedrungen waren und dass der König von Klein-Palola, der ursprünglich seinen Wohnsitz in Groß-Palola hatte, nach Klein-Palola geflohen war und sich dort festgesetzt hatte. Dabei seien die „Großen und das Volk“ in Groß-Palola zurückgeblieben (Fuchs, S. 444, Yang, S. 48). Diese teilweise schwer verständliche Äußerung Hui-chaos führt aber trotz Philip Denwoods Widerspruch (Denwood (2), S. 154) zwingend zu der von Oskar von Hinüber (Hinüber (1), S. 225: „the king of Great Bolor was forced to flee to Little Bolor“) gemachten Feststellung, dass zu der Zeit der Reise Hui-chaos, also im Jahre 727 bekannt war, dass der nach dem Einfall der Tibeter in Klein-Palola regierende König zuvor in Groß-Palola regiert hatte und beim Einmarsch der Tibeter nach Klein-Palola geflohen war, um dort die Macht zu übernehmen. Dies besagt aber nicht, dass eben dieser König im Jahre 727 noch lebte und regierte.

Abbildung 7: Ausschnitt aus der in Dunhuang gefundenen Schriftrolle mit der Reisebeschreibung des koreanischen Mönches Hui-Chao. Quelle: Pelliot chinois 3532 La Bibliothèque nationale de France

2. Chinesische Annalen

Weitere Erwähnungen von Palola finden sich in der chinesischen annalistischen Geschichtsschreibung über die Tang-Zeit. Die dabei als Quellen in Frage kommenden chinesischen Werke stammen aus dem 10. und 11. Jahrhundert. In diesen Quellen taucht nunmehr Palola als in zwei Teile geteilt auf, nämlich Groß-Palola und Klein-Palola. Umfangreiche Angaben zu den beiden Königreichen Palola  wurden aus diesen Quellen 1903 und 1904 von Édouard Chavannes veröffentlicht (siehe Chavannes und Chavannes (1)). Während Chavannes in seiner Veröffentlichung des Jahres 1903 noch Groß-Palola mit Baltistan und Klein-Palola mit Gilgit gleichsetzte, änderte er dies 1904 offenbar unter dem Eindruck der Argumente von Aurel Stein insofern, als er nun annahm, dass Klein-Palola auch mit Yasin zu identifizieren sei, während er Groß-Palola weiterhin mit Baltistan gleichsetzte. Ergänzt wurden die Darstellungen von Chavannes durch weitere Details aus chinesischen Quellen von Christopher I. Beckwith in seinem Buch „The Tibetan Empire in Central Asia“. Die Palola betreffenden Quellenangaben betreffen im Wesentlichen den Zeitraum zwischen 690 bis 760. Dies war die Zeit kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den nach Westen vordringenden Tibetern und den Chinesen um den Zugang nach Zentralasien. Dabei war das Gebiet um Klein-Palola als Eingangstor zu den von China dominierten Gebieten Zentralasiens heftig umkämpft.

3. Die Alten tibetischen Annalen und das Land Bru-zha 

Die chinesischen Quellen über die Ereignisse des genannten Zeitraums werden nun ergänzt durch weitere schriftliche tibetische Quellen. Die wichtigsten und hier einzig und allein relevanten dieser  tibetischen Quellen, die sogenannten Alten tibetischen Annalen, sind im 1. Jahrtausend n. Chr. entstanden. Dabei handelt es sich um zwei fragmentarische Schriftrollen, die in der Mogao Höhle 17 von Dunhuang in Turkestan gefunden wurden. Eine Edition und Übersetzung wurden erstmalig von J. Bacot und F. W. Thomas (siehe Bacot-Thomas) im Jahre 1940 veröffentlicht, wobei es sich um eine Pionierarbeit ersten Ranges handelte. Eine zweite Edition und Übersetzung mit einer Faksimile-Edition beider Schriftstücke wurde 2009 von Brandon Dotson vorgelegt. Nun taucht in diesen Alten tibetischen Annalen weder eine der Varianten des Namens Palola noch die Bezeichnung sBalti auf, wie überhaupt keine der bekannten Varianten der Namensschreibungen für Palola, also Bolor, Balūr, Palur usw., meines Wissens in irgendeiner tibetischen Geschichtsquelle belegt ist. Allerdings findet sich an drei Stellen die Erwähnung eines Landes, das als Bru-zha bezeichnet wird. Für das Jahr 737/38 n. Chr. berichteten die alten Annalen, dass der tibetische Minister sKyes-bzang ldong-tsab einen Feldzug gegen das Land Bru-zha unternahm, dabei den König (rgyal-po) von Bru-zha bezwang, wonach dieser (dem tibetischen König) huldigte (Dotson, S. 120f). Zum Jahr 740/41 findet sich der Eintrag, dass die tibetische Prinzessin Khri-ma-lod als Braut zum Herrscher (rje) von Bru-zha geschickt wurde (Dotson, S. 121f). Letztendlich wird für das Jahr 747/48 berichtet, dass eine chinesische Armee den Wakhan erreichte und den Wakhan wie auch Bru-zha eroberte (Dotson, S. 127f).

   

Abbildung 8: Ausschnitt aus  der als Version I bezeichneten fragmentarischen Schriftrolle der "Alten Tibetischen Annalen". Quelle: Dotson, S, 303

 

Abbildung 9: Ausschnitt aus der als Version II bezeichneten fragmentarischen Schriftrolle der Alten Tibetischen Annalen. Quelle: Dotson, S, 315

Vergleicht man nun diese Angaben aus den Alten tibetischen Annalen mit den chinesischen Quellen über vergleichbare Ereignisse, so ergibt sich zweifelfrei, dass die vorstehend geschilderten Ereignisse über die chinesische Eroberung von Bru-zha mit dem in chinesischen Quellen geschilderten Feldzug des Kao Hsien-chih des Jahres 747 zur Eroberung von Klein-Palola (Beckwith, S. 132) völlig übereinstimmen. Bru-zha ist also zweifelsfrei mit Klein-Palola gleichzusetzen. Hiermit ist aber leider nichts über die geographische Lage von Bru-zha bzw. Klein-Palola ausgesagt.

Die erste größere Untersuchung über Bru-zha stammt von Berthold Laufer und wurde unter dem Titel „Die Bru-ža Sprache und die historische Stellung des Padmasambhava“ im Jahre 1908 veröffentlicht. Laufer, der auch die verschiedenen Schreibweisen von Bru-zha in der tibetische Literatur, wie ´Bru-zha, Gru-zha, Gru-sha, Bru-shal und Bru-shal aufführt, kannte die oben angeführten Arbeiten von Chavannes und setzte Bru-zha mit Gilgit gleich, wobei er somit auch von der Gleichsetzung von Klein-Palola und Bru-zha ausging. Diese Gleichsetzung von Bru-zha und Gilgit wurde in der Tibetologie des 20. Jahrhunderts weitgehend übernommen, wozu aber anzumerken ist, dass selbst der große Tibetologe R. A. Stein sich offenbar nicht sicher war, ob diese Gleichsetzung wirklich so stimmte. Stein schreibt nämlich in seinem Buch „Tibetan Civilisation“ auf  S. 35 „Gilgit and Hunza (Tibetan Drusha: the name – spelt ´Bru-zha – is related to the Burushaski language)“, S. 49 „Drusha (Gilgit)“, auf S. 57 „Gilgit or Bolor in the north (Chinese Po-lü; Tibetan Drusha)“ und auf  S. 60 „Drusha (Gilgit, Greater and Lesser Po-lü)“.

4. Felsinschriften mit den Namen der Herrscher von Palola

   

Abbildung 10: Abreibung der Hatun-Inschrift aus dem Jahre 671 n. Chr. (siehe Abbildung 12, Fundort 1). Quelle: von Hinüber, Abbildung 19

 

Abbildung 11: Felsinschrift aus Chilas (Hodar, siehe Abbildung 12, Fundort 5) mit dem Namen des Palola-Herrschers Surendravikramādityanandi. Quelle: von Hinüber, Abbildung 15

Von tibetologischer Seite trat im Jahre 2007 eine Wende in der Beurteilung der geographischen Lage von Bru-zha = Klein-Palola und Groß-Palola ein. In seiner 2007 erschienen Arbeit „The Tibetans in the Western Himalayas and Karakoram, Seventh-Eleventh Centuries: Rock Art and Inscriptions” (S. 45) identifiziert der britische Tibetologe Philip Denwood Groß-Palola (Great Palur) mit „lower Gilgit and Punial probably including Gakuch“ und setzt Klein-Palola (Little Palur) mit dem Yasin-Tal gleich, wobei er die Zugehörigkeit des Ishkoman-Tales zu Klein Palola für möglich hält (zu den Ortsnamen siehe Abbildung 1). Denwood gibt in der obigen Arbeit für diese Neuorientierung in der Beurteilung der geographischen Lage der genannten Gebiete keine Gründe an, liefert diese aber dann in zwei weiteren Arbeiten nach, die 2008 und 2009 erschienen sind (siehe Denwood (1) und (2)). Grundlage der obigen Feststellungen Denwoods, die ich unter Zugrundelegung der Untersuchungen von Hinübers weitgehend teile, ist eine Untersuchung von Oskar von Hinüber über die Herrscher von Palola (Palola Ṣāhi), die nicht nur unsere Kenntnis über das Land Palola revolutioniert hat, sondern auch für die Festlegung der Lage von Palola die entscheidenden Grundlagen erforscht hat. Zwar bemerkt von Hinüber (S. 7f) mit außerordentlicher Bescheidenheit, dass es nicht möglich ist, „Das Gebiet von Palola oder Balūr mit Hilfe aller verfügbaren Quellen scharf zu umreißen“, er nennt aber mit den Fundorten der von ihm bearbeiteten inschriftlichen Quellen insbesondere den Bereich, in dem Inschriften mit Namen der Herrscher von Palola zu finden sind. Damit sind Gebiete um Gilgit (Fundort: Danyor, Nr. 2 der folgenden Karte), die Umgebung von Chilas (Fundorte: „Weg vom Thalpan-Ziarat in Richtung Hodar, Hodar, Thalpan Dorf,Nr. 5,7,9 der folgenden Karte) und der Fundort Hatun (Nr. 1 der folgenden Karte) in der Nähe der Mündung des Ishkoman-Flusses in den Gilgit-Fluss angesprochen, deren territorialer Bezug zum Herrschaftsgebiet von Palola damit grundsätzlich festgestellt ist.

Abbildung 12: Die Fundorte von Felsinschriften mit Namen der Herrscher von Palola (rot umrandet). Quelle: von Hinüber, S. XI 

Während die Inschriften der zum Raum Chilas gehörenden Fundorte 7 und 5 die Palola-Herrscher Somana und Surendravikramādityanandi nennen, ist bei der Inschrift des Fundortes 9 die Lesung des Herrschernamens Surendravikramādityanandi nicht gesichert. Allerdings belegt der Hinweis śrī paṭola deva eine Verbindung zu Palola. Dieser Landesname taucht im Großraum Chilas auch auf Steininschriften der Fundorte 6 (hier zweimal) und 12 auf. Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass die Inschriften von Hatun (Fundort 1) und Danyor (Fundort 2) ihr Entstehungsdatum enthalten. Die Inschrift des Fundortes 2 nennt den Palola-Herrscher Jayamaṅgalavikramādityanandi und das Jahr 687, während der Palola-Herrscher Navasurendrādityanandi auf der großen Inschrift am Fundort 1 mit der Jahresangabe 671 verzeichnet ist.

5. Gilgit-Handschriften und buddhistische Bronzen aus Palola

Die Einordnung der vorstehend genannten Herrscher war Oskar von Hinüber nur möglich durch die Berücksichtigung weiterer Quellen, nämlich der sogenannten Gilgit-Handschriften und von mit Aufschriften versehenen Bronzen (siehe Abbildungen 3 und 4), die Aufschriften tragen, welche auch die Namen von Herrschern aus Palola aufweisen.

 

 

 

   

Abbildung 13: Gilgit-Handschrift. Quelle: http://www.unesco-ci.org/photos/showgallery.php/cat/790

 

Abbildung 14: Ausschnitt aus einer Gilgit-Handschrift. Quelle: Wikimedia Commons http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gilgitmanuscript.jpg

Die auf Blätter aus Birkenrinde geschriebenen Gilgit-Handschriften wurden im Jahr 1931 von Marc Aurel Stein in der Innenkammer eines zerfallenen buddhistischen Stūpa des nahe bei Gilgit gelegenen Dorfes Naupur entdeckt. Es handelte sich dabei um buddhistische Texte, die unter anderem wegen ihres Alters für die Buddhismusforschung von besonderem Interesse sind. An dieser Stelle ist aber weder die Entdeckungsgeschichte noch der Inhalt der gefundenen Handschriften bzw. Handschriftenfragmente von Bedeutung, sondern die Tatsache, dass zu diesen Handschriften auch Kolophone gehören, die die Namen der Stifter dieser Handschriften und die Namen von zahlreichen Personen aus dem Umfeld der Stifter enthalten. Von Hinüber hat auf die Bedeutung dieses Umstandes schon 1979 in seinem Beitrag zur Erforschung der Gilgit-Handschriften aufmerksam gemacht (von Hinüber (1), S. 337). Er zählt hier Namen von zwei Shāhi-Herrschern von Palola und deren Königinnen auf. Von den Herrschern nennt er Vajrādityanandi und Surendravikramādityanandi. Die Gilgit-Handschriften enthalten keine Datumsangaben, die für die Datierung der Palola-Shāhis hilfreich sein könnten. Mir ist nicht bekannt, ob Versuche unternommen worden sind, über naturwissenschaftliche Methoden die Gilgit-Handschriften und damit auch ihre Stifter zu datieren. Diese Handschriften enthalten aber zahlreiche Informationen, die für die weitere Behandlung der Geschichte von Palola von großer Bedeutung sind.

   

Abbildung 15: Zwischen 644 und 655 n. Chr. entstandene Buddhastatue. Die Aufschrift der Bronze enthält den Namen des Palola-Herrschers  Navasurendrādityanandi. Quelle: von Hinüber, Abbildung 3

 

Abbildung 16: Buddha des Palola-Herrschers Nandivikramādityanandi aus dem Jahre 714 n. Chr. Quelle: von Hinüber, Abbildung 5

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tauchte eine größere Zahl von Bronzestatuen auf, die fast ausnahmslos Sanskrit-Inschriften aufweisen und zunächst als Bronzen aus Kaschmir (Bronzes of Kashmir) bekannt wurden, eine Bezeichnung, die von Hinüber zweifellos zu recht in „Gilgit-Bronzen“ korrigierte. Über diese Bronzen existiert inzwischen eine umfangreiche Literatur, wobei hier nur die Autoren Douglas Barrett, Pratapaditya Pal und insbesondere Gérard Fussmann genannt seien. Ein Teil dieser Bronzen stammt aus dem Königreich Palola. Vier von diesen sind hier von besonderem Interesse, weil ihre Inschriften nicht nur Namen von Herrschern wiedergeben, sondern auch Jahresangaben enthalten, die somit die Bronzen, aber auch die damit genannten Herrscher, datierbar machen. Zu ihnen gehören die oben auf den Abbildungen 3 und 4 zu sehenden Buddhastatuen aus den Jahren 706/707 und 715/16. Eine weitere dieser Bronzen, der Buddha des Varṣa (Abbildung 15), ist zwischen 644 und 655  n. Chr. in der Zeit des Herrschers Navasurendrādityanandi entstanden, während die vierte datierbare Bronze (Abbildung 16) unter der Herrschaft von Nandivikramādityanandi 714 n. Chr.  gestiftet wurde. Die vier genannten Bronzen mit Darstellungen des Buddha bilden zusammen mit den beiden datierbaren Inschriften von Hatun und Danyor das Rückgrat der Chronologie der Palola Ṣāhis.

6. Die Herrscher von Palola

   

   

   

Abbildung 17: Der Palola-Herrscher Nandivikramādityanandi  im Jahre 714 n. Chr.. Siehe Abbildung 16

 

Abbildung 18: Der Palola-Herrscher Nandivikramādityanandi im Jahre 715/716 n. Chr. Siehe Abbildung 4

 

Abbildung 19: Die Königin Namobhuddhāya von Palola im Jahre 715/716 n. Chr. Siehe Abbildung 4

 

Abbildung 20: Ein Würdenträger von Palola im Jahre 715/716 n. Chr. Siehe Abbildung 4

Insofern die Herrscher von Palola, deren Dynastie-Name als Bhagadatta überliefert ist, in den Quellen hauptsächlich als Stifter von buddhistischen Bronzestatuen und von buddhistischen Handschriften belegt sind, wissen wir praktisch nichts über ihre administrativen und politischen Aktivitäten. In der Hatun-Inschrift des Jahres 671 wird nur von der Gründung eines neuen Ortes und dem Bau eines Wasserkanals zur Versorgung dieses Ortes durch Makarasiṃgha, den Großschatzmeister des Palola-Königs Navasurendrādityanandi berichtet. Bei der Danyor-Inschrift des Jahres handelt es sich möglicherweise um eine Schenkung, deren Inhalt jedoch weitgehend unverständlich ist.

Die folgende Liste der Herrscher von Palola beruht auf den Angaben von Oskar von Hinüber (S. 99). Allerdings wurden die letztendlich nur irreführenden fiktiven und somit frei erfundenen Datenangaben zu den Regierungszeiten der Herrscher weggelassen. Ebenso wurden die ersten vier Herrscher gleichsam zeitlich gleichgeordnet in einer Reihe aufgeführt, um damit anzudeuten, dass deren zeitliche Abfolge keinesfalls gesichert ist. Die Zeitangabe (6. Jahrhundert) für Somana wurde beibehalten, da sie nach Oskar von Hinübers Angaben epigraphisch gesichert sein soll. Ansonsten sind die in Klammern aufgeführten Zeitangaben aus den Felsinschriften (blau markiert), aus den Inschriften der Bronzen (rot markiert) und aus den chinesischen Quellen (grün markiert) entnommen.

Liste der Herrscher von Palola:

(a1) Somana (6. Jahrhundert),  (a2) Vajrādityanandi, (a3) Vikramādityanandi, (a4) Surendravikramādityanandi
(b) Navasurendrādityanandi (zwischen 644 und 655, 671)
(c) Jayamaṅgalavikramādityanandi (687, 706/707)
(d) Nandivikramādityanandi (714, 715/16)
(e) Su-fu-she-li-ji-li-ni (717, 719). Eventuell identisch mit Nandivikramādityanandi (d)
(f) Surendrāditya (720)

Da insbesondere die Bronzen, aber auch die Handschriften und Felsbilder, Abbildungen von Stiftern enthalten, vermitteln uns diese Darstellungen, auch wenn sie nicht im strengen Sinne als Portraits von individuellen Personen angesehen werden können, doch ein Bild von den Menschen, die in der in Frage kommen Zeitepoche das Königreich Palola bevölkerten. Auch hier ist für die weitere Forschung über Palola ein interessantes Forschungsfeld gegeben.

   

   

 

 

   

 

 

Abbildung 21: Stifterehepaar auf einem Buchdeckel einer Gilgit-Handschrift. Quelle: Jettmar (1), Plate 160

 

Abbildung 22: Stifter des auf Abbildung 25 zu sehenden großen Felsbildes von Chilas

 

Abbildung 23: Der Großschatzmeister Saṃkaraṣena des Palola-Königs Jayamaṅgalavikramādityanandi auf einer Bronze des Jahres 714 n. Chr.. Quelle: Pal (1), S. 106

 

Abbildung 24: Devaśrī, die Tochter des Königs Jayamaṅgalavikramādityanandi und Ehefrau des Großschatzmeisters Saṃkaraṣena, auf einer Bronze des Jahres 714 n. Chr.. Quelle: Pal (1), S. 106

Die von dem chinesischen Pilger Hsüan-tsang und dem koreanischen Reisenden Hui-chao erwähnten Klöster von Palola sind heute verschwunden. Das gleiche gilt für die Paläste bzw. Burgen der ehemaligen Herrscher. Neben den Bronzen und Gilgit-Handschriften zeugen aber heute noch zahlreiche Felsbilder, die inzwischen in der von Harald Hauptmann herausgegeben Publikationsreihe „Materialien zur Archäologie der Nordgebiete Pakistans“ in bisher neun Bänden veröffentlicht wurden, von der herausragenden Kultur dieses im 8. Jahrhundert untergegangenen Königreiches im Norden Pakistans. Die heute sichtbaren Übermalungen mit neuen Schriftzeichen zeigen aber auch, dass diese über eintausend Jahre alten Felszeichnungen zu den bedrohten Kulturdenkmälern Pakistans gehören. Anzumerken ist, dass eigentliche Grabungen, die uns weitere Erkenntnisse über Palola vermitteln könnten, bisher nicht stattgefunden haben. Hier bleibt der archäologischen Forschung noch ein interessantes Feld zur Bearbeitung offen.

Abbildung 25: Felsbild aus Chilas (Okotober 2008) mit einer deutlich sichtbaren beginnenden Zerstörung durch neuzeitliche Übermalung

Abbildung 26:  Die Fortsetzung des auf Abb. 25 zu sehenden großen Felsbildes von Chilas nach links mit neuzeitlichen Übermalungen (Oktober 2008)

7. Groß-Palola und Klein-Palola (Bru-zha) 

Für das Jahr 719/20 berichten die Alten tibetischen Annalen von einer Registrierung der kriegsfähigen Männer (pha-los) in Zhang-zhung und Mard (Dotson, S. 111). Insofern mit Mard zweifellos eine Region in dem heutigen Ladakh angesprochen ist, bedeutet dieser Bericht, dass sich spätestens im Jahre 719 die Westgrenze des tibetischen Großreiches bis an die Grenzen von Palola und Baltistan verschoben hatte. Die Alten tibetischen Annalen berichten für das Jahre 721/722, dass viele Gesandte der sogenannten „oberen Region“ (stod-phyogs) sich am Hof des tibetischen Königs Khri-lde gtsug-brtsan einfanden, um ihre Unterwerfung zu bekunden (Dotson, S. 112f). Dass mit sTod-phyogs Länder im Westen Tibets gemeint sind, steht außer Frage (vgl. hierzu Beckwith, S. 203f).

Auf der anderen Seite berichten die chinesischen  Annalen, dass 717 eine Gesandtschaft eines Herrschers von Groß-Palola, dessen Namen nach der Umschreibung der chinesischen Schriftzeichen mit Su-fu-she-li-ji-li-ni angeben wird, den chinesischen Kaiserhof erreichte. Der Kaiser verlieh diesem Herrscher aus diesem Anlass den Titel „König von Palola“. 719 entsandte Su-fu-she-li-ji-li-ni eine zweite Delegation an den Kaiserhof. 720 tauchte eben dort eine Delegation eines "König von Palola" genannten Herrschers Sou-lin-t’o-i-tche  (= Surendrāditya) auf, der ebenfalls vom Kaiser als „König von Palola“ bestätigt wurde (Chavannes (1), S. 33, 41f und 44). Im gleichen Jahr 720 wurde nach Chavannes ((1), S. 44) von dem chinesischen Kaiser an den Herrscher von Kaschmir „Tchen-fo-lo-pi-li (Chandrāpīḍa)“ der Titel „König von Kaschmir“ verliehen.

Die Situation zu Beginn der 8. Jahrhunderts in der Region Kaschmir, Chilas, Gilgit und dem Wakhan glich interessanterweise dem, was sich im 19. Jahrhundert im gleichen Großraum zwischen den Großmächten England und Russland abspielte. Die Region war in die Interessenssphäre zweier rivalisierender Großmächte gerückt. Dabei ist aber die Nachrichtenlage, insbesondere von tibetischer Seite so dünn, dass es keinen Sinn macht, hier zu spekulieren, welche Motive für die kleinen Herrschaftsgebiete dieser Region bei speziellen Verhaltensweisen gegenüber den Großmächten Tibet und China leitend waren und welche Gründe insbesondere den Kaiserhof von China zu seinen ununterbrochenen Titelverleihungen veranlasste. Wollte China seine Interessenssphäre nach Indien ausdehnen, dienten seine Aktionen nur der Errichtung eines Bollwerkes gegen die nach Zentralasien vordringenden Tibeter oder ist beides richtig?  So ist es zunächst nur eine reine Vermutung, wenn die Gesandtschaft von Surendrāditya an den Kaiserhof als verzweifelte Mission gegen die aggressiven Tibeter bezeichnet wird (Denwood (2), S. 153). Über die Details der diplomatischen Beziehungen der einzelnen kleinen Herrschaftsgebiete dieser Region zu Tibet wissen wir schon deshalb nichts, weil die tibetischen Annalen hierzu keine Angaben enthalten.

Was Klein-Palola betrifft, so wurde das Grundgerüst der Ereignisse nach chinesischen Quellen schon vor über einhundert Jahren von Chavannes zusammengetragen. Mit den Ergänzungen der „Alten Tibetischen Annalen“ und des Reiseberichtes des koreanischen Mönches Hui-chao ergibt sich eine für jene Zeit erstaunliche Dichte von Fakten.

Zunächst eine Bemerkung zu Groß-Palola und Klein-Palola: Die Bezeichnung Groß-Palola taucht erstmals für das Jahr 717 in chinesischen Quellen auf. Diese aus chinesischer Sicht gemachte Bezeichnung belegt nun keineswegs, dass in Palola selbst vor 720 die Bezeichnung für das heutige Yasin als Klein-Palola bekannt war. Wir haben keinerlei Quellen aus dem in Frage kommenden Gebiet darüber, dass Yasin, also Bru-zha oder Klein-Palola, im 7. Jahrhundert politisch zu Palola gehörte. Die Tibeter bezeichneten das von den Chinesen Klein-Palola genannte Gebiet als Bru-zha, wobei die Annahme, dass diese Bezeichnung mit dem Namen der Sprache Burushaski zusammenhängt, nicht abwegig ist.Tatsächlich wird in Yasin Burushaski gesprochen, übrigens wie auch in den fast benachbarten Gebieten Hunza und Nagar. Nagar wurde noch in der aus Baltistan stammenden, um 1700 entstandenen Verschronik Shigar Nāma als Brushal bezeichnet. Jedenfalls ist es bei der gegenwärtigen  Quellenlage verfrüht, von der Teilung des Landes Palola in Klein- und Groß-Palola in den Jahren 1713-1717 zu sprechen, wobei diese Teilung angeblich „zweifellos unter dem Druck tibetischer Angriffe“ erfolgt sein soll (Denwood (2), S. 154).

Die Berichte des koreanischen Mönches Hui-chao (Hyecho ) sind als Augenzeugenbericht aus einer Zeit, in der Groß Palola und Klein-Palola noch existierten, von so großem Interesse, dass sie hier nach der Übersetzung von Yang (S. 47f) wiedergegeben werden:

(Groß-Palola)

„From Kaśmir I crossed the mountains and travelled northeast for fifteen days. The countries here are Greater Bolor, Yang-t’ung, and Sha-po-tz’u. These countries are all under Tibetan authority. The dress, language and customs of the people are all different. People wear furs, cotton shirts, boots, and trousers. The land is narrow and the mountains and streams are extremely dangerous. There are also monasteries and monks. People respect and believe in the Three Jewels. Eastwards from here is Tibet [where] there are no monasteries of houses [and where] Buddhism is not known. Because the people [of Greater Bolor, Yang-t’ung, and Sha-po-tz’u] are Hu people, they believe [in Buddhism].”

(Klein-Palola)

“From Kaśmir I travelled further northwest for seven days, crossed the mountains, and arrived at the country of Lesser Bolor, which is under Chinese rule.The dress, customs, food, and language are similar to those of Greater Bolor. The people wear cotton shirts and boots, cut their beards and hair, and bind their heads with a piece of cotton cloth. Women keep their hair. The poor are many and the rich are few. The valleys are narrow and cultivable lands are limited. The mountains are withered and sterile, with no trees and grass. Greater Bolor war originally the place where the king of Lesser Bolor resided. It was because the Tibetans have come that he fled and shifted his residence to Lesser Bolor. The chiefs and common people remained and did not come [with the king].”  

Nach dem Bericht von Hui-chao hatten die Tibeter im Jahre 727 das als Groß-Palola bezeichnete Gebiet schon eingenommen. Der König von Palola war – so Hui-chao - nach Klein-Palola geflohen, wo er die Macht übernommen hatte. Da in den chinesischen Quellen im Zusammenhang mit Ereignissen des Jahres 722 ein Herrscher von Klein-Palola mit dem Namen Mo-ching-mang (Mo-kin-mang) auftaucht, dürfte der letzte von den Chinesen 720 im Amt bestätigte Herrscher von Palola nur sehr kurze Zeit in Groß-Palola und Klein-Palola regiert haben. Sicher ist wohl auch, dass Mo-chin-mang und dieser letzte Herrscher Sou-lin-t’o-i-tche  (= Surendrāditya) nicht ein und dieselbe Person sind. Da außer Somana fast alle Könige der Bhagadatta-Dynastie den Namensteil drāditya aufweisen, der in der Transkription der chinesischen Schriftzeichen als t’o-i-chih wiedergegeben wird, dürfte die Herrschaft der Bhagadatta-Familie mit Surendrāditya ein Ende gefunden haben.

Denwood hat zweifellos recht, wenn er feststellt, dass die Einnahme von Groß-Palola durch die Tibeter zwischen 720 und 722 stattgefunden hat (Denwood (2), S. 153ff). Die Tibeter konnten zunächst ihre Stellung in dem Großraum Gilgit-Chilas bis 753 behaupten. Ihr Vorstoß gegen Klein-Balur im Zeitraum 721-722 misslang. Mo-chin-mang konnte die tibetischen Angreifer mit der Hilfe chinesischer Truppen – die Chinesen stellten ein Kontingent von 4.000 Soldaten zur Verfügung - zurückschlagen, so dass Klein-Palola bis 737/738 unter chinesischem Schutz seine Selbstständigkeit behielt.

Mo-chin-mang, der 722 die Tibeter aus Klein-Bolor zurückschlagen konnte, regierte noch im Jahre 733. Nach Chavannes war ein Nachfolger  Nan-ni (erwähnt wird er seltsamer Weise für das Jahr 731), auf den Ma-lai-hsi (Mo-lai-hi, Ma-hao-lai) und Su-shih-li-chi (Su-shih-li-zhi, Sou-che-li-che, Sou-che-li-tche) folgten (Chavannes, S. 151). Da alle diese Namensschreibungen auf der Transkription chinesischer Schriftzeichen beruhen, ist die tatsächliche Aussprache der Namen dieser Herrscher nicht bekannt.

Wie oben schon erwähnt, erfolgte nach den „Alten tibetischen Annalen“ 737/738 die Eroberung von Klein-Palola durch die Tibeter. Für das Jahr 740/741 wird von diesen Annalen über die Heirat eines Herrschers (rje) von Klein-Palola mit der tibetischen Prinzessin  Khri-ma-lod  berichtet. Dies zeigt, dass Klein-Palola unter tibetischer Oberherrschaft eine gewisse Selbstverwaltung behielt. Bei dem genannten Ehemann handelte es sich um den oben schon erwähnten Su-shih-li-chi, der 747 mit seiner tibetischen Frau von den Chinesen gefangen genommen wurde. In diesem Zusammenhang fällt allerdings auf, dass ein Jahr später, also im Jahre 741, von chinesischer Seite der Titel „König von Klein-Palola“ an Ma-lai-hsi vergeben wurde, der nach Beckwith der ältere Bruder von Nan-ni und somit der Onkel von Su-shih-li-chi war. Über die Hintergründe dieser Titelverleihung kann man nur spekulieren. Denkbar ist, dass es einen Nachfolgestreit in der Herrscherfamilie von Klein-Palola zwischen Nan-nis älteren Bruder, der somit offenbar einer prochinesischen Gruppe angehörte, und seinem Neffen Su-shih-li-chi um die Thronfolge in Klein-Palola gegeben hat. Angesichts der dürren Faktenlage wird sich aber ohne weitere Quellen keine historisch seriöse Erklärung präsentieren lassen. Im Übrigen wird Ma-lai-hsi hiernach in den chinesischen Quellen wohl nicht mehr erwähnt.

Im Jahre 747 kam es zur Rückeroberung von Klein-Palola durch eine chinesische Armee unter Führung des koreanischen Heerführers Kao Hsien-chih. Den Vormarsch der chinesischen Armee und die nachfolgende Einnahme von Klein-Palola hat Chavannes 1903 sehr ausführlich geschildert (Chavannnes, S, 162ff). Eine umfangreiche Darstellung in deutscher Sprache aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts findet sich in "Tibet und Zentralasien", S.35ff. Eine vereinfachte Zusammenfassung der Darstellung von Chavannes findet sich bei Christopher Beckwith (S. 132f):

„The armies crossed the So-le River with difficulty and met at the appointed time. After a battle with the Tibetans that lasted all day, the T’ang forces were victorious. Five thousand Tibetans are said to have perished. The T’ang army captured a thousand men and thousand horses along with a large quantity of military supplies and equipment. Kao left Pien with a garrison of three thousand, consisting of the weak and sick among the troops, and then invaded Little Balûr. Kao captured the capital city, A-nu-yüeh, without a fight. He executed “five or six” Tibetan-appointed officials there; and, after his troops hurriedly destroyed the cane suspension bridge leading to the east – preventing the Tibetan army from coming to the rescue – he received the surrender of the king of Balûr and his Tibetan queen. Kao garrisoned the city with two thousand men and returned … He continued to Ch’ang-an [damals Hauptstadt von China], … where the king of Balûr and his Tibetan queen were presented to Hsüan-tsung [chinesischer Kaiser der T’ang-Dynastie]. Hsüan-tsung pardoned the king and gave him a position in the palace guards, nothing is known about the fate of the Tibetan princes, the Lady Khri ma lod.”

Die Annahmen von Chavannes und Beckwith über die geographischen Details dieser als atemberaubend einzustufenden Aktion sind heute nicht mehr haltbar. Nach dem aktuellen Stand der Forschung (Denwood (2), S. 155) durchquerten die chinesischen Truppen den Pamir, eroberten die im Wakhan gelegene tibetische Festung von Sarhad, überschritten den Darkot-Pass, drangen in Yasin ein und zerstörten dort die über den Gilgit-Fluss führende Brücke bei Gupis (siehe oben die Karte auf Abbildung 1).

Die chinesische Einnahme von Klein-Palola im Jahre 747 wird auch durch den schon oben erwähnten entsprechenden sehr kurzen Eintrag in den „Alten tibetischen Annalen“  bestätigt.

Die Herrschaft der Könige von Klein-Palola bestand nach dieser Einnahme von Yasin fort. Allerdings wurde die Gebietsbezeichnung von den Chinesen in  Koei-jen verändert. Nach den chinesischen Quellen erreichten in den Jahren 748,752, 753 und 755 Gesandtschaften aus Koei-jen den Kaiserhof (Chavannes (1), S. 748, 752f, 755).

753 kam es zu einer Eroberung von Groß-Palola durch eine chinesische Armee unter der Führung des Militärgouverneurs Feng Ch’ang-ch’ing, wobei der von den chinesischen Quellen als P’u-sa-lao (Ho-sa-lao) bezeichnete Hauptort von Groß-Palola eingenommen wurde. Die chinesische Vorherrschaft über das Gebiet des ehemaligen Königreiches Palola war aber nur von sehr kurzer Dauer. Infolge der sogenannten Lu-shan-Rebellion des Jahres 755 brach die chinesische Militärpräsenz in Zentralasien zusammen. 763 eroberten die Tibeter sogar die chinesische Hauptstadt Ch’ang-an. Die letzte Nachricht der chinesischen Quellen zu Palola (Koei-jen) datiert bezeichnenderweise in das Jahr 755.

In den späteren tibetischen Quellen taucht Bru-zha (Bru-sha) als einer der acht großen Militärbezirke (khrom-chen) des tibetischen Großreiches wieder auf (Uray, S. 314, Denwood, S. 156,  Hazod, S. 168). Dass sich dieser Militärbezirk geographisch nur auf die Region von Klein-Palola beschränkte, ist völlig unwahrscheinlich. Jedenfalls verschwindet das Königreich Palola ansonsten mit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts aus den Geschichtsquellen. Sein Name als Bezeichnung des Großraumes, in dem es sich einmal befand, lebte aber weiter als Bolor oder Balur in arabischen Quellen, in dem Bericht von Marco Polo und der Beschreibung von Eroberungszügen durch Mirza Haidar.

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Autor: Dieter Schuh, 2011

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