Tibet-Encyclopaedia

 

Mangyül Gungthang (Mang-yul Gung-thang)

Mangyül Gungthang (Mang-yul gung-thang) , ist die Bezeichnung eines tibetischen Königreiches, das um 1265 im Südwesten Tibets errichtet wurde. Diese Königreich stand unter der Jurisdiktion von Sakya (Sa-skya). Die Herrscher dieses kleinen Königreiches, das von 1268 bis 1287 eine der berühmten Dreizehn Zehntausendschaften (Khri-skor bcu-gsum) bildete, waren die Könige von Gungthang (Gung-thang rgyal-po). Sie regierten unter der Vorherrschaft wechselnder zentraltibetischer Oberherrn dieses Reich von 1265-1620.Dzongkar (rDzong-dkar, "Weiße Festung", auf der Karte siehe Dzongka) ist die Bezeichnung der Burg der Könige von Mangyül Gungthang.

Der Kernbereich des Königreiches Mangyül Gungthang im heutigen Distrikt Kyirong 

Das Königreich Mang yul Gung thang zählt zu jenen Herrschaftsbildungen, die sich unter dem Einfluß Sakyas in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Tibet entwickelten. Im Jahre 1267 gegründet, erstreckte es sich im Grenzgebiet zwischen Zentral- und Westtibet, zwischen dem Ma yum la (etwa 50 km östlich des heilgen Berges Kailash) im Westen, dem Pelkhü Tsho (T dpal khud mtsho) im Osten, vom Himalajagürtel mit Mustang, Dolpo und Manang im Süden bis zu den nördlichen Hochebenen, dem Jangthang, im Norden.

Das Kleinkönigtum Mang yul Gung thang entstand als ein von Gnaden Sakyas errichtetes, abhängiges Herrschaftsgebilde, dem als Herrscher der Kleinfürst von Gung thang vorangestellt wurde. Tritt uns der Herrscher dieses Reiches in den Quellen anfangs auch nur als Khab pa, als "Burgherr" einer in den Hochregionen nördlich von Gung thang gelegenen Festung, entgegen, wurde ihm mit der Errichtung des Reiches in Analogie zu den westtibetischen Herrscherhäusern, die die Königreiche Guge, Purang und Ladakh beherrschten, eine Herkunftslegitimation verliehen, die seine Ahnenlinie auf die großtibetischen Könige zurückführte. Der durch diese historiographisch konstruierte Abstammung begründete Titel eines Königs (Tibetisch: rgyal po) verlieh dieser Herrschaftsbildung, die Sakya nach außen hin als ein selbstständiges Reich darzustellen suchte, den Rang eines Kleinkönigtums.

Entstanden war damit ein Herrschaftsgebilde, das in seinen drei Kernregionen Gung thang, Mang yul und Nub ris vorwiegend aus tibetischen Volksgruppen bestand, das auf seinem bis in den Himalaja reichenden südlichen und südwestlichen Territorium von verschiedenen ethnischen und sprachlichen Gruppierungen besiedelt wurde und das in seinen nördlichen Regionen, dem hoch gelegenen Tsangpo-Becken, das Nomadenvolk der Men zhang zu seinen Untertanen gemacht hatte. Da sich die kulturelle und soziale Vielfalt dieser Volksgruppen nur mit Hilfe der Rückendeckung Sakyas, der unumstrittenen Vormacht Tibets von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, zusammenschließen ließ, diente sich das Königshaus von Gung thang anfangs bereitwillig Saskya als Vasalle an. Wenn Sakya im Gegenzug auch den Erhalt des Reiches und die herrschaftliche Stellung des Hauses Gung thang sicherte, erhielt es sich zugleich aber auch als Vormacht des Tibet jener Zeit seinen herrschaftlichen Einfluß auf das Reich. Dazu pflegte es zum einen Heiratsallianzen, in deren Gefolge ein mit maßgeblichen Regierungsfunktionen versehener, in den Quellen kaum in Erscheinung tretender "Onkel-Minister" (tib. zhang blon) in das Reich einzog, zum andern errichtete Sakya dort religiöse Institutionen, die mit ihren kirchenhaften Strukturen die Herrschaft des Königshauses von Gung thang wie auch die Sakyas untermauerten und stützten.

Mit dem Niedergang Sakyas war nach dem Ende der Yuan-Dynastie auch das Schicksal seiner Oberherrschaft über Mang yul Gung thang besiegelt. Nach einer von zahlreichen Unruhen und mehreren Königsmorden geprägten Herrschaftsperiode, in der sich kurz nach der Wende zum 14. Jahrhundert das im Südwesten gelegene Mustang als ein eigenständiges Kleinkönigtum aus dem Reiche zu lösen vermochte, durchlebte das Reich zu Zeiten der Phamodrupa- (1354-1434) und Rinpungpa-Dynastie (1434-1565) sodann eine Periode weitergehender Selbstständigkeit, die mit seiner Unterwerfung durch den zum neuen Machthaber über gTsang aufgestiegenen gTsang pa sde srid im Jahre 1620 ein jähes Ende fand. Um 1644 wurde das ehemalige Reichsterritorium schließlich dem Herrschaftsbereich der neuen, vom 5. Dalai Lama geführten tibetischen Zentralregierung einverleibt.

Literatur

Franz-Karl Ehrhard: Early Buddhist Block Prints from Mang-yul Gung-thang. Lumbini International Research Institute 2000.
Franz-Karl Ehrhard: Die Statue des Ārya Va-ti bzang-po. Ein Beitrag zu Geschichte und Geographie des tibetischen Buddhismus. Reichert, Wiesbaden 2004.
Karl-Heinz Everding: Das Königreich Mang-yul Gung-thang. Königtum und Herrschaftsgewalt im Tibet des 13.-17. Jahrhunderts. 2 Teile. Bonn 2000.

Autor: Karl-Heinz Everding, 2010. Ergänzt 2013. Landkartennachweis: Ausschnitt aus The Tibet Map  Institute: http://www.tibetmap.com/2885o150.jpg