Tibet-Encyclopaedia

 

Hatam Khan (Herrscher von Khaplu in Baltistan bzw. Klein-Tibet)

Hatam Khan (auch Hatim Khan oder Hatim Khan Azam geschrieben) regierte über Khaplu seit dem Jahre 1674. Er war ein Mitglied der Yabgo-Herrscherfamilie. Sein Vater Rahim Khan war wenige Jahre nach 1650 nach der Eroberung von Khaplu durch Murad Khan von diesem und dessen Bruder Sher Khan aus Skardu ermordet worden. 1674 wurde er von ladakhischen Truppen als Herrscher über das Hushe/Saltoro Tal mit den Burgen Saling und Haldi eingesetzt, während Yakub in Khaplu regierte. Nach dem endgültigen Sieg von Imam Quli Khan über Sher Khan verschwand Hatam Khans Cousin und Rivale Yakub von der Bildfläche. Hatam Khan regierte fortan alleine das vereinigte Königreich von Khaplu bis in die zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts.

Hatam Khan wurde als Sohn von Rahim Khan in der Yabgo-Herrscherfamilie von Khaplu geboren. In den von Cunningham und Francke veröffentlichten genealogischen Listen der Yabgo-Herrscher von Khaplu wird Hatam Khan als 63. Herrscher von Khaplu aufgeführt. Er folgte danach in der Abfolge der Herrscher auf seinem Vater Rahim Khan, was insofern sicherlich falsch ist, da zwischenzeitlich seine Cousins Babur und Yakub in Khaplu regiert haben. Wichtige Quellen zur Herrschaft Hatam Khans sind das Shigar Nāma und Herrscherkunden aus Ladakh (Francke, S. 228-235 und Schuh, S. 194ff). Die Darlegungen von Hashmatullah Khan (S. 124f) und Afridi (S. 121ff) zu diesem Herrscher von Khaplu sind einerseits teilweise komplett falsch und andererseits, solange keine anderweitigen verlässlichen Quellen vorliegen, als Phantasieprodukte zu behandeln.

Hatam Khans Vater Rahim Khan hatte die Macht in Khaplu nach dem Tod seines Bruders Hussain Khan übernommen. Die Witwe seines Bruders, eine Schwester von Murad Khan aus Skardu, und ihre beiden Söhne Babur und Yakub hatte Rahim nach dem Tod seines Bruders derartig drangsaliert, dass diese ins Exil nach Ladakh fliehen mussten. Ob Hatam Khan vor oder nach der Machtübernahme seines Vaters geboren wurde, ist nicht bekannt.

Nach der Machtergreifung in Skardu durch Murad Khan 1650/51 war das zweite Ziel des neuen Herrschers von Skardu nach seinem Einmarsch in Kartaksho die Eroberung von Khaplu. Die Bergfestung Thortsi Khar von Khaplu wurde von den Truppen Murad Khans und seines Verbündeten Imam Quli Khan belagert. Letztendlich musste Rahim Khan, der sich dort verschanzt hatte, aufgeben. Als er unter Zusicherung eines freien Geleits die Festung an Murad Khan übergab, ließ dieser ihn einkerkern und ermorden.

Murad Khan setzte die Söhne von Hussain Khan und seiner Schwester als gemeinsame Herrscher von Khaplu ein. Diese Machtübernahme durch Babur und Yakub muss kurz nach 1650/51 stattgefunden haben. Was nach der Ermordung Rahim Khans mit seinen Söhnen geschah, ist bis heute nicht bekannt. Jedenfalls tauchte sein Sohn Hatam Khan erst mit der Eroberung von Khaplu durch Truppen aus Ladakh im Jahre 1674 aus der Versenkung der Geschichte auf. Er wurde als Herrscher über das Hushe/Saltoro Tal eingesetzt, während sein Cousin Yakub nun das auf der linken Seite des Shayok gelegen Khaplu-Tal regierte.

In dem zweiten Krieg zwischen Sher Khan aus Skardu und Imam Quli Khan aus Shigar verbündete sich Yakub erneut mit seinem Onkel Sher Khan. Es gelang ihm auch, Hatam Khan als Bündnispartner von Sher Khan zu gewinnen, obwohl letzterer an der Ermordung von Hatam Khans Vater beteiligt gewesen war. Hatam Khan nahm auch an der anschließenden Eroberung der Festung von Kharku teil, bei der nach zweitägiger Belagerung die gesamte Besatzung getötet wurde. Die beiden Eroberer konnten sich aber nicht lange ihres Sieges erfreuen. Imam Quli Khan entsandte eine Truppe von 1.000 Infanteristen mit vierzig Reitern und vierzig Musketieren, die gegen Yakub und Hatam vorrückte. Nach dem Sieg über ihre Feinde begaben sich die Krieger Imam Quli Khans nach Kharku. Ali Khan und Babur belohnten die Sieger. Wenig später starb Ali Khan und vier Monate später starb auch Babur, der Bruder von Yakub, in Kharku.

Hatam Khan musste die Allianz mit Yakub schon nach kurzer Zeit bereuen. Nach dem Feldzug von Ibrahim Khan, dem Gouverneur von Kaschmir, im Jahre 1678/79 zur Befreiung Puriks von der 1673 etablierten ladakhischen Vorherrschaft nahm Yakub in Khaplu diesen Krieg zum Anlass dafür, die in Khaplu stationierten ladakhischen Truppen aus seinem Land zu vertreiben. Danach unternahm er den Versuch, den im Hushe/SaltoroTal regierenden Hatam Khan abzusetzen. Yakubs Krieger drangen nach Saling vor und eroberten die dortige Festung. Dann marschierten sie nach Haldi, wo sie das Tor zur Festung einschlugen. Bei der folgenden Plünderung erlebten sie aber einen Gegenangriff von Hatam Khans Soldaten und erlitten eine Niederlage. Yakub zog sich daraufhin mit seinen verbleibenden Truppen nach Khaplu zurück. Hatam Khan aber unterstellte sich wieder Imam Quli Khan, der das Bündnis mit Hatam Khan trotz der von Hatam Khan in der Vergangenheit begangenen Fehler akzeptierte.

Dieses Bündnis mit Imam Quli Khan war zweifellos die Grundlage dafür, dass Hatam Khan nach dem endgültigen Sieg von Imam Quli Khan über Sher Khan seine Position als Herrscher von Khaplu behaupten konnte. Yakub aber wurde abgesetzt. Spätestens seit den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts regierte Hatam Khan nun als alleiniger Herrscher über das gesamte Königreich von Khaplu.

Nach dem Krieg zwischen Tibet und Ladakh der Jahre 1679 - 1683, der auch eine Intervention von aus Kaschmir entsandten Truppen des Moghul-Kaisers Aurangzeb (1658-1707) in Ladakh nach sich zog, kam es offenbar zu einer erneuten Allianz zwischen Hatam Khan und dem König von Ladakh. Aus einer ladakhischen Herrscherurkunde aus dem Jahre 1698 (Schuh S. 193) können wir entnehmen, dass ladakhische Truppen in Balghar in einem Krieg gegen Shigar militärische Operationen durchführten. Dies wäre ohne eine Rückendeckung von Seiten Hatam Khans nicht möglich gewesen.

Im Jahr 1716 war Hatam Khan seit 42 Jahren im Besitz der Regierungsgewalt über Khaplu. Nun war es sein erbberechtigter Sohn Dabla Khan, der seinem Vater die Herrschaft über Khaplu streitig machen wollte. Dabla Khan rief Truppen aus Skardu und Shigar herbei, die ihn bei seiner Rebellion gegen seinen Vater unterstützen sollten. Auf Bitten von Hatam Khan entsandte der ladakhische König Nyima Namgyel (Nyi-ma rnam-rgyal) (1694-1729) eine große Armee unter dem Heerführer Sönam Lhündrub (bSod-nams lhun-grub) nach Baltistan, die die Angreifer aus Skardu und Shigar zurückschlug. Die Festung von Saling wurde mit Kanonen beschossen und erobert, wodurch der Aufstand von Dabla Khan beendet wurde (Schuh, S. 194ff, Francke, S. 231).

Abbildung 1: Zeilen 1-12 der gemeinsamen Herrscherurkunde des ladakhischen Königs Nyima Namgyel und seines Sohne Dekyong Namgyel (bDe-skyong rnam-rgyal) vom April des Jahres 1718 über die Niederwerfung des 1716 erfolgten Aufstandes von Dabla Khan gegen seinen Vater Hatam Khan

 

Abbildung 2: Zeilen 8-20 der gemeinsamen Herrscherurkunde des ladakhischen Königs Nyima Namgyel und seines Sohne Dekyong Namgyel (bDe-skyong rnam-rgyal) vom April des Jahres 1718 über die Niederwerfung des 1716 erfolgten Aufstandes von Dabla Khan gegen seinen Vater Hatam Khan

Der Bericht über die Niederwerfung von Dabla Khans Aufstand gegen seinen Vater Hatam Khan liest sich in der in den Abbildungen 1 und 2 wiedergegebenen Herrscherurkunde des Jahres 1718 wie folgt:

"Vergleichbar damit ergab es sich, dass im Feuer-Affe-Jahr (1716/17) der Dabla Khan (´Dab-lad mKhan) ebenfalls rebellierte und Truppen aus Shigar (Shi-sgar) und Skardu (sKar-rdo) herbeirief, so dass die Festung von Saling (Sa-gling) besetzt wurde. Indem man dem Hatam Khan (Ha-tham mKhan) nichts anhaben konnte, wurde dies zu einer Angelegenheit von umfangreicher Wichtigkeit, sodass von hier aus wieder eine große Armee aufbrach. Dadurch, dass Sönam Lhündrub (bSod-nams lhun-grub) (mit)ging, wurden die Truppen von Shigar (Shi-sgar) und Skardu (sKar-rdo) zurückgetrieben. Indem es bei der Festung von Saling (Sa-gling) durch Zahlreiches an List und Verstand, wie z.B. den Einsatz von Kanonen, zutraf, dass dem Dabla Khan (´Dab-lad mKhan) nicht mal die Möglichkeit gegeben wurde, das Leben (seiner Leute) zu bewahren, waren (wir) erfolgreich."

Im Jahre 1722 hatte Azam Khan, Herrscher von Shigar, neben Skardu auch Rondu und Gilgit erobert. Anschließend traf er Kriegsvorbereitungen, um Khaplu einzunehmen. Hierauf wandte sich Hatam Khan erneut an den König Nyima Namgyel um Truppenhilfe. Unter dem General Tshülthrim Dorje (Tshul-khrims rdo-rje) marschierte eine Vorhut über Nubra nach Khaplu ein, während die Hauptmasse der ladakhische Truppen über den Pass Byang-la nach Baltistan vorrückte. In Khaplu musste Tshülthrim Dorje zunächst feststellen, dass Hatam Khan und sein Sohn Dabla Khan erneut zerstritten waren. Nachdem er hier Eintracht vermittelt hatte, führte er den Angriff gegen Shigar erfolgreich fort (Francke, S. 232f).

In die Regierungszeit von Hatam Khan fällt auch die Eheschließung einer Prinzessin aus dem Yabgo-Herrscherhaus von Khaplu mit dem ladakhischen König Nyima Namgyel. Die im übrigen als streitbar angesehene  junge Dame war eine Tochter von Hatam Khan und eine Schwester von dessen Sohn Dabla Khan. In der Geschichte Ladakh ist diese Enkeltochter Hatam Khans unter der Bezeichnung Zi-zi Khatun bzw. Zi-zi rGyal-mo "Königin-Mutter" bekannt geworden. Sie gebar dem König Nyima Namgyel einen Sohn, Trashis Namgyel (bKra-shis rnam-rgyal), der von ca. 1734 bis in die frühen 60er Jahre Purik regierte (Schwieger, S. 33 und 39f). Diese Verbindung zwischen dem Herrscherhaus in Khaplu und dem Königshaus in Ladakh vertiefte naturgemäß die freundschaftlichen Verbindungen zwischen diesen beiden Ländern.  

Wie wir aus einer ladakhischen Urkunde entnehmen können, wurde Khaplu im Jahre 1734 von Hatam Khans Sohn Dabla Khan regiert (Francke, S. 234). Damit ist ein Terminus ante quem für das Todesjahr von Hatam Khan gegeben.

Literatur

Banat Gul Afridi: Baltistan in History. Peshawar 1988
Koshrow Behrouz: Shigar- Nāma. Eine persische Verschronik über die Geschichte Baltistans. Kritische Textausgabe, Kommentar und Übersetzung. Unveröffentlichtes Manuskript aus den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts
Alexander Cunningham: Ladák. Physical, statistical, and historical; with notices of the surrounding countries. New Delhi 1977 (reprint)
A. H. Francke: Antiquities of Indian Tibet. Part (Volume) II. The Chronicles of Ladakh and Minor Chronicles. Texts and Translations, with Notes and Maps. (Reprint) New Delhi 1972
Hashmatullah Khan: History of Baltistan. Lok Virsa Translation, Islamabad 1987. Das Original in Urdu wurde 1939 veröffentlicht
Luciano Petech: The Kingdom of Ladakh. C. 950-1842 A. D. Roma 1977
Dieter Schuh: Die Herrscher von Baltistan (Klein-Tibet) im Spiegel von Herrscherurkunden aus Ladakh. In: Chomolangma, Demawend und Kasbek. Festschrift für Roland Bielmeier zu seinem 65. Geburtstag. Band 1: Chomolangma, Halle 2008, S. 165-225
Peter Schwieger: Teilung und Reintegration des Königreichs von Ladakh im 18. Jahrhundert. Der Staatsvertrag zwischen Ladakh und Purig aus dem Jahr 1753. Bonn 1999

Autor: Dieter Schuh, 2010. Ergänzt 26.1.2018 

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